Fourth of July

David Dürr - Basler Zeitung 04.07.2014


Jeweils im Sommer, wenn es tagsüber heiss ist und es einen auch nachts ins Freie zieht, bekommt man Lust auf Freiheit. Zum Beispiel am Quatorze Juillet in Frankreich, oder am ersten August in der Schweiz oder eben heute – am Fourth of July – im fernen Amerika.

Da malt man sich erhebende Geschichten aus: Wie ein nach Freiheit lechzendes Volk im Jahr 1789 mit Blut und Tränen die brutale Trutzburg Bastille in Brand setzt. Oder wie sich ergrimmte Innerschwei­zer zu nächtlicher Stunde im Jahr 1291 auf einer versteckten Waldwiese auf den bevorstehenden Freiheitskampf einschwören. Oder wie geniale Vordenker der Aufklärung im Jahr 1776 die Freiheit des Menschen in seiner eigenen Natur entdecken und in Philadelphia eine kecke Erklärung aufsetzen, mit der sie sich ein für allemal aus der Knechtschaft des englischen Königs lossagen.

Ob diese Geschichten stimmen, ist zweitrangig. Ob der Sturm auf die Bastille wirklich eine politische Revolution oder bloss ein spontanes Durcheinander mit der dortigen Garnison war. Ob es den Rüt­lischwur überhaupt gegeben hat. Und ob es nun wirklich an der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 lag, dass England jene fernen Kolonien schliesslich fahren liess. Entscheidend ist das befreiende Gefühl, das diese Geschichten für diejenigen auslösen, die sie erzählen oder ihnen zuhören.

Erkenntniswissenschaftlich betrachtet präsentiert sich der Zusammenhang zwischen solchen Geschichten und dem zugehörigen Gefühl eigentlich umgekehrt. Das heisst, zuerst ist da das Freiheitsgefühl, ausgelöst – wie gesagt – durch die laue Sommernacht, die etwas hervorholt, das im sonst frostigen Alltag unterdrückt wird; nämlich das Gefühl, so etwas wie ein ureigenes, in sich selbst inne wohnendes Freiheitsrecht zu haben. Und erst dann, quasi als nachrationalisierte Folge dieses Gefühls, beginnt das Gehirn, solche Geschichten zu erzählen. Geschichten, die einem bekannt vor­kommen, auch wenn man sie zum ersten Mal hört.

Und man erzählt sie nicht bloss, diese Geschichten. Man zelebriert sie. Man zitiert sie immer und immer wieder, man beschwört sie. In den USA beispielsweise wird die erwähnte Unabhängigkeitser­klärung vom 4. Juli 1776 nicht einfach als trotzige Sezessionserklärung der damaligen 13 Kolonien erzählt, sondern als Grundcharta der menschlichen Freiheit über­haupt. Das hat insofern etwas für sich, als der Text der Unabhängigkeitserklärung gleich zu Beginn davon spricht, dass alle Menschen von Natur aus gleich frei und unabhängig seien und dass sie be­stimmte ihnen inne wohnenden Rechte haben. Und eben hieraus wurde dann abgeleitet, dass man sich von der Unterdrückung durch die englische Krone lossage. Aber auch sonst sei jede Unter­drückung auszumerzen. Nicht nur gegenüber dem König, sondern ganz generell seien Untertanentum und Sklaverei zu überwinden. – Schade nur, dass die Redaktoren beim letzten Feinschliff des definitiven Textes diesen Passus wieder strichen. Denn nicht wenige der Gründerkolonien hielten selbst schwarze Sklaven.

Und so singen sie dort drüben auch heute Abend wieder ergriffen ihre Freiheitslieder und fühlen sich in lauer Sommernacht unendlich frei. Um sich am nächsten Morgen mit schlechtem Gewissen und in Sklavenhaltung daran zu machen, die längst überfällige Steuererklärung auszufüllen. 

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