Vor Gott versteckt man nichts

David Dürr - Basler Zeitung 19.04.2013


Und falls das einmal nicht so sein sollte, muss er sofort und umfassend informiert werden. Man sagt dem „Automatischer Informationsaustausch“, kurz AIA. Wer etwas vor Gott versteckt, begeht eine Sünde. Wer sich weigert, seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse offenzulegen, ist ein „Steuersünder“. Es genügt nicht, dass er sein Steuerscherflein in Form der Abgeltungssteuer beiträgt. Vor Gott hat man nackt zu sein, Adam und Eva.

Übrigens nichts gegen Gottesgläubigkeit, die bekanntlich Privatsache ist. Auch Staatsgläubigkeit wäre nicht zu beanstanden, bliebe sie Privatsache jener, die ihr anhangen wollen, die noch so gern ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse jährlich offenlegen, auf Formularen, die ihnen die irdischen Stellvertreter Gottes jeweils zusenden. Bezeichnenderweise sind die jeweils beigelegten Rückcouverts nicht pauschalfrankiert, sodass die Gläubigen sie auf eigene Kosten frankieren und damit die Ergebenheit ihres Opfergangs zeigen dürfen. Diejenigen mit einem direkten Draht nach oben machen es online. Es gibt auch jene Zerrissenen, die zwar an Gott glauben, die aber gleichwohl das viele Geld reut, das sie ihm abliefern müssen. Sie versuchen, es vor Gott zu verstecken, werden aber früher oder später vom schlechten Gewissen geplagt. Für diese Fälle gibt es die Beichte, die man auch „Selbstanzeige“ nennt. Gott zeigt sich dann grossmütig und lässt es mit Nachsteuern, Zinsen und väterlichem Tadel bewenden.

Um solche Umwege zu vermeiden, haben einige Gläubige nun den AIA erfunden: Banken sollten die Daten ihrer Kunden gleich direkt an den Stellvertreter Gottes auf Erden melden. In der Schweiz also an jene Organisation, auf deren prunkvollem Sakralbau am Bundesplatz in Bern die Lettern „CURIA“ stehen. So jedenfalls die Anregung aus eben diesem kurialen Hofstaat, etwa seitens des Präsidenten der BDP. Auch das für Finanzen zuständige Kurienmitglied denkt bereits laut über den AIA nach. Nicht zuletzt deshalb, weil man im Vergleich mit Kurien in anderen Ländern nicht schlecht dastehen, sondern gegenteils mit diesen eifrig zusammenarbeiten wolle, zum Wohlgefallen Gottes. Für rote und grüne Glaubensfundamentalisten gibt es ohnehin nichts anderes als den AIA, das ewige Paradies ist ihnen gewiss.

Doch was, wenn nun einer daher kommt und trotzig erklärt, er glaube nicht an diesen einen und Einzigen, und schon gar nicht an dessen allein selig machende Organisation? Diese selbst wird da keine Hemmungen haben, ihn gleichwohl dem AIA zu unterwerfen, denn sein Unglaube sei in Wirklichkeit Glaubensirrtum. Und wenn sich dieser Staats-Heide dann auf Art. 15 Abs. 4 der Schweizerischen Bundesverfassung beruft – „Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören …“ – so wird man ihn der Blasphemie beschuldigen und der Inquisition übergeben. Das inquisitorische Verfahren – das wissen rechtshistorisch Interessierte – zeichnete sich schon immer dadurch aus, dass Untersuchung, Anklage und Urteilsspruch in der gleichen Hand lagen. Genauso wird es der gleiche Staat sein, der diese Fälle nicht nur untersucht und zur Anklage bringt, sondern sie auch beurteilt und das Urteil vollstreckt, wenn es sein muss mit handfester Gewalt.

Auch Ungläubige sind also gut beraten, dem Staatsgott zu opfern, das heisst alles von sich aus zu deklarieren und die Steuern pünktlich zu entrichten! –Und vergessen Sie, dass Nietzsche einmal frech behauptet hat, Gott sei tot. 

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