1200 Jahre Grössenwahn

David Dürr - Basler Zeitung 31.01.2014


Dieser Tage wird europaweit der 1200-ste Todestag Karls des Grossen begangen. Wer war denn das eigentlich? Kennen Sie beispielsweise den Unterschied zwischen ihm und Adolf Hitler? – Den von Adolf veranstalteten Holocaust zu leugnen, ist strafbar, den von Karl nicht. Bei Karl ist es erlaubt, zu behaupten, der systematische Massenmord an den Sachsen inklusive Blutbad in Verden mit 4500 abgehackten Köpfen habe nie stattgefunden. Doch wie auch immer, die Ähnlichkeiten zwischen dem grossen Karl und dem grossen Adolf sind bemerkenswert.

So hatten beide die Vision eines gigantischen Reiches, das die ganze Welt umfassen und beherrschen sollte. Beide schafften dies auch, wenigstens im Umfang von Europa. Und beide gingen dafür über ziemlich viele Leichen. Karl kann man als den eigentlichen Erfinder eines solch paneuropäischen Grössenwahns bezeichnen. Zwar gab es bekanntlich schon früher das römische Reich, das bei seiner grössten Ausdehnung gar noch mehr als das heutige Europa umfasste. Im Gegensatz zum Reich Karls war es aber nicht ideologisches Projekt eines strategischen Grössenwahns, sondern erstaunlicher Erfolg eines ursprünglich kleinen Gemeinwesens, das sich ohne jede Planmässigkeit über viele Jahrhunderte in vielfältigen Szenarien und mit zahlreichen unterschiedlichen Führerfiguren ausbreitete und über ebenso lange Zeiträume wieder zerfiel. Ganz anders Karl der Grosse. Er nahm sich gezielt vor, ein Reich zu schaffen, das die ganze damalige Christenheit umfassen sollte. Das längst untergegangene römische Reich diente ihm als historisierende Kulisse, weshalb er sich in Rom zum Kaiser krönen liess. Hervorragende Politpropaganda, wie sie später auch im dritten Reich gepflegt wurde. Hitler soll sich nicht ungern mit Karl dem Grossen verglichen haben.

Zum Glück hielten die Reiche Karls und Adolfs nicht allzu lange. Beide brachen nach dem Tod des Tyrannen zusammen und liessen Europa wieder in seine Vielfalt von Ländern, Adelshäusern, Herzogtümern, Bistümern, Stadtrepubliken, später Nationalstaaten etc. zurückfinden. Dies entspricht viel mehr der europäischen Realität als ein darübergestülpter Monogigantismus. Paradiesisch war dieses vielfältige Europa natürlich auch nicht, immer wieder gab es Streit und gar Krieg. Was aber die Grossreiche angerichtet hatten, war allemal schlimmer.

Und doch schafft es das Virus der paneuropäischen Megalomanie immer wieder, sich unter wohlklingenden Vorwänden zurückzumelden und Applaus zu finden. Im Moment gerade mit Parolen wie „europäische Integration“ oder „europäische Sozial- und Umweltpolitik“ oder „Wer gegen den Euro ist, ist gegen Europa“. Entsprechend forsch tritt der Brüsseler EU-Adel auf: Die Finanzwirtschaft soll schon einmal unter die gesamteuropäischen Fittiche kommen. Direkte Steuereinnahmen der EU sind ebenfalls bereits ein Thema. Und sogar die vereinigten Staaten von Europa nach dem Vorbild des Macht- und Gewaltkolosses USA wird gar nicht mehr so selten postuliert.

Das Schweizerische Landesmuseum hat übrigens dem 1200-sten Todestag Karls des Grossen eine schöne Sonderausstellung gewidmet. Der Holocaust kommt darin nicht vor.

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