Selbstbestimmung



David Dürr – eigentümlich frei / Juni 2023




Wunderbar – so könnte man auf den ersten Blick meinen – dass nun sogar die Politik gemerkt hat, wie wichtig die Selbstbestimmung eines jeden Individuums ist, geht sie doch daran, ein sogenanntes „Selbstbestimmungsgesetz“ zu erlassen. In diesem Gesetz soll der Grundsatz stehen, dass jeder Mensch über sich selbst bestimmen kann, unabhängig von amtlicher Zustimmung oder gerichtlicher Entscheidung. Endlich hat die Obrigkeit begriffen, dass es sie ja eigentlich gar nicht braucht – wunderbar?

Enttäuschend ist bloss – so zeigt ein zweiter Blick – dass dieses „Selbstbestimmungsgesetz“ nicht generell, sondern nur für ein unbedeutend kleines Anwendungsgebiet gilt, nämlich für die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Bekanntlich gibt es einige wenige Menschen, deren biologisches Geschlecht ihrem Empfinden widerspricht oder denen unklar ist, welchem Geschlecht, wenn überhaupt einem, sie zugehören; da kann es natürlich nur diesen Menschen selbst zustehen, zu bestimmen, wie sie damit umgehen wollen. Fühlt sich beispielsweise ein biologisch männlicher Mensch als Frau, soll er allein entscheiden, ob er dies mit einer entsprechenden Erklärung festhalten will. Dass nun der Staat darauf verzichtet, in solch persönliche Belange einzugreifen, ist ja durchaus löblich. 

Doch warum nur hier? Warum nicht in Bereichen, die sehr viele Menschen betreffen? Warum nicht auch bei der jeweils eigenen Gesundheit, dem eigenen Gewerbe, dem eigenen Einkommen, dem eigenen Eigentum, dem eigenen Konsum? Warum gilt das Selbstbestimmungsgesetz nicht auch in all diesen viel wichtigeren Bereichen? Warum gibt es noch immer staatliche Pandemie-Vorschriften, Gewerbebewilligungen, Steuern, Konsumverbote und vieles mehr?

Diese Widersprüchlichkeit ist schnell erklärt: Selbstverständlich geht es dem Staat auch beim Selbstbestimmungsgesetz zuallerletzt um eine liberale Öffnung, sondern bloss einmal mehr um die Stärkung seines Einflusses. Indem er sich beim marginalen Bereich von Trans- oder nonbinären Menschen zurücknimmt, eröffnet er gleichzeitig ein riesiges Regulierungsfeld für die gesamte insgesamt cis-geschlechtliche Gesellschaft. Da lassen sich minutiöse Vorschriften darüber anordnen, wie man Transmenschen anzusprechen hat, welche Pronomen zu verwenden sind, ob man frühere Geschlechtszugehörigkeiten erwähnen darf, wie Toiletten, Umkleidekabinen oder Saunaeinrichtungen zu differenzieren sind; natürlich immer in Kombination mit happigen Bussendrohungen für den Fall, dass solche Vorschriften verletzt werden. Oder es zerbrechen sich juristische Fachkommissionen an kostenträchtigen Tagungen den Kopf darüber, wie sich Geschlechtsänderungen auf Quotenregulierungen auswirken sollen: Lassen sich Genderquoten etwa in Aufsichtsräten dadurch erfüllen, dass überzählige Männer einfach eine Weiblichkeitserklärung abgeben? – Alles in allem jedenfalls ein ergiebiges Tummelfeld bürokratischer Überwachungen und Eingriffe, das Gegenteil einer liberalen Öffnung.

Vollends verräterisch ist nun aber eine explizite Ausnahme von diesem geschlechtsbezogenen Selbstbestimmungsprinzip, nämlich dann, „wenn ein Änderungsantrag in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einem Spannungs- und Verteidigungsfall gestellt wird.“ Mit anderen Worten, wenn es um einen möglichen Einsatz im Kriegsdienst geht, sollen junge Männer nicht selbst über einen Geschlechtswechsel entscheiden; für diesen Zweck gehören sie sich nicht selbst, sondern dem Staat. 

Das im Testosteron seiner jungen männlichen Bevölkerung vorhandene Aggressionspotenzial gibt der Staat nicht aus der Hand. Das ist wohl seine stärkste Kriegswaffe, stärker noch als Panzer und Kanonen. Und im Kriegen hat der Staat ja reiche Erfahrung; das war schon immer eine Kernkompetenz von ihm, bereits bei seiner Entstehung vor 5000 Jahren in Mesopotamien und seither so ziemlich lückenlos.

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