Meine Antrittsrede als Papst
Wie ich den Staatsoberhäuptern die Leviten gelesen hätte
David Dürr – eigentümlich frei / Juli 2025
Möglicherweise ist Ihnen entgangen, dass ich mich ebenfalls als Papst bewarb. Ich hatte mir schon vorgestellt, wie ich bei der feierlichen Amtseinsetzung auf dem Petersplatz meine Antrittsrede an die versammelte Welt richte. Erst hinterher erfuhr ich, dass man für eine Papst-Kandidatur ledig sein müsse, weshalb ich mit meinem mittlerweile fünfzigsten Ehejahr glatt durchfiel.
Als dann ein anderer Kandidat gewählt wurde, der ledige Herr Prevost aus Amerika, stellte ich ihm meine Rede spontan zur Verfügung, als kollegiale Anregung für seine Vorbereitung. Und wie sich dann herausstellte, übernahm er tatsächlich das Wichtigste aus meinem Text, vor allem den folgenden Satz, der so etwas wie der Kern seiner Botschaft war:
«In unserer Zeit erleben wir noch immer zu viel Zwietracht, zu viele Wunden, die durch Hass, Gewalt, Vorurteile, Angst vor dem anderen und durch ein Wirtschaftsmodell verursacht werden, das die Ressourcen der Erde ausbeutet und die Ärmsten an den Rand drängt.»
Das hätte mich eigentlich freuen können, wäre dieser Satz nicht von den Medien ins pure Gegenteil verkehrt worden: In fast allen Zeitungen, Radio-, TV- und Internet-Medien hiess es, der Papst habe sich in seiner Antrittsrede gegen einen «entfesselten Kapitalismus» gewandt, der die natürlichen Ressourcen ausbeute und die Ärmsten an den Rand dränge. Allein, nichts könnte mir ferner liegen als eine Kritik in dieser Richtung.
Das Wirtschaftsmodell, das ich in meiner Rede kritisieren wollte, ist dasjenige, in dem wir leben und das mit Kapitalismus leider nichts zu tun hat. Es ist nicht ent-, sondern im Gegenteil ge-fesselter Kapitalismus. Es ist ein flächendeckendes Zwangssystem, das mit Verboten, Auflagen, Steuern, Überwachungen und Strafen dafür sorgt, dass wirtschaftlicher Wohlstand behindert und damit gesellschaftliche Spannung erhöht wird. Gesteuert wird dieses Wirtschaftsmodell von selbsternannten «Staaten», die ohne jede Legitimation die Menschen in gute und schlechte einteilen und damit Zwietracht, Wunden, Hass, Vorurteile und Angst vor dem anderen entstehen lassen; die mit ihrem Gewaltmonopol die Menschen ausserstande setzen, sich selbst zu wehren, was andere nur wieder zu Gewalt ermuntert; und die natürliche Ressourcen der fürsorglichen Patenschaft privater Eigentümer entreissen und sie damit ungebremster Verschwendung preisgeben.
Diesen verantwortungslosen Akteuren wollte ich als frisch gewählter Pontifex ins Gewissen reden. Ich hatte mir schon vorgestellt, wie all diese Staatsoberhäupter in den vorderen Reihen vor mir auf dem Petersplatz unter praller Sonne ins Schwitzen kommen, blossgestellt als Sünder vor der ganzen Welt; und während die einen oder anderen, vom Gewissen übermannt, in Tränen aufgelöst zusammenbrechen, ich ihnen zurufe:
«Gehet hin und sündigt hinfort nicht mehr. Legt ab eure Macht, die ihr euch anmaßt über andere. So werde ich bei ihm, dessen Stellvertreter ich hier unten bin, ein Wort für euch einlegen, damit ihr nicht ewig in der Hölle leidet, sondern mit gnädiger Strafe davonkommt: Für jedes Regierungsjahr zehn Jahre Fegefeuer. »
Diese letzten Sätze hat Herr Prevost offenbar vergessen. Und so schrieben dann die Medien, seine Rüge habe dem entfesselten Kapitalismus gegolten.
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